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Dezember 2014 - Carl Stern
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Carl Stern (1918 - 1985)

in Gedenken

 

Der 1918 in Troppau geborene Carl Stern, einziges Kind eines jüdischen Bankiers. gehörte ausschließlich dem deutschen Kulturkreis an. Sein Jurastudium, in Prag begonnen, wurde durch den Hitlereinmarsch abgebrochen. Er wanderte nach Palästina aus, wurde hier jedoch nur schwer heimisch und ging 30 Jahre hindurch dem bürgerlichen Beruf eines Fotografen nach. Daneben wuchsen die durch ihn beschriebenen Papierberge meterhoch.

„Wenn Wahnbilder Sie bedrängen, so schließen Sie nicht die Augen, sondern versuchen Sie einmal, diese Bilder in sich deutlich werden zu lassen… Auch der Wahnsinn hat seine heilige Seite…“ schrieb Hermann Hesse dem jungen Dichter, der ihm anvertraute, mit welcher Akkuratesse seine Familie und von dieser zu Rate gezogene Psychologen sich bemühten, die in ihm wirkende und zum Ausbruch drängende Fantasie als Resultat einer verkappten Nervenkrankheit abzustempeln. Aus seinen vielen menschlichen Begegnungen, real oder spirituell, entstand ein monumentales literarisches Lebenswerk. Auf der steten Suche nach irdischer Erfüllung und göttlicher Erleuchtung stieß er immer wieder auf unüberwindliche Grenzen. Er starb 1985 vereinsamt – doch unvergessen von seiner großen Liebe – in Jerusalem und fand die letzte Ruhestäte auf dem dortigen Har Hamenuchot.

 

 

Judengasse

Über engen, saub´ren Gassen
ruht das große, reine Schweigen,
wie ein stilles Sinkenlassen,
wie ein demütig Sich-neigen
vor noch unerfüllter Schau.

Klare Fensteraugen weiten
ihres Dunkels sanfte Tiefen;
träumen in noch ferne Zeiten
- als ob sie im Zauber schliefen -
Träume, die einst wach sie riefen
aus bedeutungslosem Grau.

Aus Gewölbeläden heben
daseinsfremden Blick Gestalten;
im zerfurchten Antlitz Falten
kostbar aufbewahrt sie halten.
Sie, die Alten, wissen vom Uralten,
das sie sorgsam hütend weitergeben.

Wenn sie wandeln, wandeln durch die Straßen,
langsam und mit Schritten einer Ewigkeit
stille steht, gewichtlos, jede Zeit.
Und es sinkt in Haus und Giebel und die Gassen
Gottes gnadenvoller Schein, - wird Wirklichkeit.

Alles Leben wird ein Vorwärtsschreiten
nach den nahen, nicht mehr weiten,
bald schon kommenden Messiaszeiten,
dem wie Teppiche sie breiten und bereiten
ihres übergroßen Wartens Heiligkeit.

 

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Sommer

(Aus dem Zyklus "Israelische Landschaften")

Glut glost das Land in Dunst. -
ln heißen Feuernetzen eingesponnen
Bleicht Erstorbenes.

Glühend,
Glühend weiß,
Hockt die Sonne
Heiß im Äther,
Schleudert Feuer
Blitzend, gleißend,
Aus dem hitzeblassen
Atemlosen Blau;
Stürzt der Flackertanz
Der Lichter
Steht der Strahlen
Riesentrichter
Sprühend
Über glut-verglastem Land.


 

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Erinnerungen an Else Lasker-Schüler

(von Carl Stern)

Der antifaschistische Dichter und Publizist Louis Fürnberg lud mich Anfang Juni 1942 zu sich nach Jerusalem ein und führte mir das Jerusalemer Dichter-Panoptikum vor. Die unglaublichsten Käuze und Gestalten kamen da an, und jeder schien von seiner Dichter-Aureole überzeugt. Unter anderem gab es den schleimigen Poeten Manfred Vogel und seinen Busenfreund Franz Goldstein, der sich kurz Frango nannte. Das Treffen mit Frango war nicht ohne Absicht. Er war mit der Lasker-Schüler befreundet und sollte mich bei ihr einführen.

Er brachte uns auch in ihre Behausung. Sie "hauste" wirklich: in einem ärmlichen, muffigen Zimmerchen und - wie ich erfahren hatte - in einer unglaublichen Notlage. Doch niemand ihrer zahlreichen Freunde, die ihr helfen wollten, ließ sie daran rühren. Das Zimmerchen war vollgestopft mit dem abenteuerlichsten Krimskram, zumeist düster leuchtender, billiger Tand: silbern und golden glitzernde Kettchen hingen herunter, schillernde Perlenschnüre, gemalte Tellerchen mit phantastischen Bildern, bunt glänzende Vasen.

Ich hatte Else Lasker-Schüler während ihrer Rezitationsabende in Haifa gehört, und zwar bei den beiden Großhuts, die solche Veranstaltungen für die "notleidenden Künstler Palästinas" veranstalteten. Sie las wunderbar. Ich entsinne mich eines Gedichtes: "Josef wird verkauft". Während sie las, hatte sie unter dem Tisch auf den Knien ein kleines Säckchen mit bunten Steinen bereit. Wenn sie zu der Stelle kam, an der Josef verkauft wird, schüttelte sie leise und rhythmisch das Säckchen. Es klang melodisch, wie weit entfernt in der Wüste. Man hatte die Empfindung von weichen Kamelschritten durch den Sand, von den umgeschnallten, leise rasselnden Lasten, und man wusste, dass Josef jetzt für die klingende Münze verkauft wurde.
Und nun saß sie leibhaftig und ganz nahe vor mir.

 

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Text und Werke wurden mit freundlicher Genehmigung von

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Tilly Boesche-Zacharow

zur Verfügung gestellt.

 

Herzlichen Dank